Hamburg ist auf zwei Weisen, man könnte sagen, auf Leben und Tod mit seiner Geschichte verbunden. Die lebendige Tradition der großen Hamburger Reedereien, der Speicherstadt und des Hamburger Hafens gibt den Hamburgern über alle sozialen Unterschiede hinweg ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer Stadt. Jedes Jahr im Mai sieht man auf dem Hafengeburtstag, wie diese Welthafenstadt geliebt wird, von den Menschen, die in ihr leben. Die Tradition ist insofern die helle Seite unserer Geschichte. Aber die Stadt hat auch schlimme Verluste erlitten.

Sowohl im 19. Jahrhundert, als auch im 20. Jahrhundert hat Hamburg gebrannt. Dem Großen Brand von 1842, der in der Speicherstadt ausbrach und die damalige Innenstadt verwüstete, folgte fast genau hundert Jahre später im Sommer 1943 die Operation Gomorrha, bei der britische und amerikanische Bomben gezielt Wohnhäuser zerstörten und etliche Tausend Menschen alles verloren, was sie besaßen.

 

Seit damals sind furchtbare Bilder und Szenen im Gedächtnis der Hamburger Familien gespeichert. Schriftsteller wie Viola Roggenkamp, die ich sehr bewundere, oder Ralph Giordano haben mit ihren Romanen den Hamburgern gewissermaßen einen Weg zur eigenen Erinnerung gezeigt. Trotzdem ist in Familien, denen die Kraft zur Aufarbeitung ihrer Erinnerungen fehlt, vieles bis heute niemals artikuliert worden, weil es noch immer nicht ausgesprochen werden kann.

Ich denke dabei an das Schweigen in meiner eigenen Familie, durch das ich wohl erst Schriftstellerin geworden bin. Vieles, worüber in meiner Familie niemals gesprochen wurde, hängt unmittelbar mit den Bombenangriffen zusammen. Durch meine Verwandtschaft mit den Opfern des Krieges, die zwar Überlebende waren, aber nie mehr unbelastet leben konnten, gehört der Krieg zu meiner Biografie, er gehört für mich nicht zur Vergangenheit.

 

Vielleicht haben die Verluste des Krieges dazu beigetragen, dass wir in Hamburg ein so lebendiges Interesse daran haben, die Erinnerung an historische Gebäude und Plätze wachzuhalten. Die neunzehn Geschichtswerkstätten und weitere Stadtteilarchive, die es in Hamburg gibt, und die in ihren Stadtteilen regelmäßig gutbesuchte Rundgänge veranstalten, sind ein Beispiel dafür. In München gibt es, so weit ich weiß, vier Geschichtswerkstätten. Berlin hat nur eine. Oder nehmen Sie die hohen Besucherzahlen des Hamburger Staatsarchivs, seit dort alte Standesamtsbücher der ehemaligen preußischen Standesämter eingesehen werden können. Die Begeisterung der Hamburger für Familienforschung sehe ich auch als Beispiel ihres Interesses an Geschichte.